Wenn man heute einen Betrieb betritt – egal ob Hotel, Produktionshalle, Lagerstandort, Werkstatt, Bürogebäude oder ein komplexes Industrieareal – dann fällt eines sofort auf: Brandschutz ist überall sichtbar. Feuerlöscher an jeder Ecke, Fluchtwegschilder, Brandmelder, Brandschutztüren, Pläne im Eingangsbereich. Man könnte meinen, dass das Thema damit weitgehend erledigt sei.

Doch genau hier beginnt das Problem.

Brandschutz ist nicht das, was an der Oberfläche sichtbar ist.
Brandschutz ist das, was im Hintergrund funktioniert – oder eben nicht.

Bei Inspektionen zeigt sich immer wieder:
Es sind nicht die spektakulären Mängel, die Sicherheit gefährden, sondern die alltäglichen, unscheinbaren Fehler, die sich im Laufe der Zeit einschleichen. Fehler, die aus Routine entstehen. Fehler, die niemand absichtlich begeht, aber die – wenn sie sich summieren – eine Anlage im Ernstfall ungeschützt zurücklassen.

In der Praxis kristallisieren sich zehn zentrale Problemfelder heraus. Und jedes einzelne davon ist ein Hinweis darauf, dass Brandschutz nicht als System verstanden wurde, sondern als lose Sammlung von Maßnahmen.


1. Veraltete oder unvollständige Dokumentation – der unsichtbare Risikofaktor

In mehr als der Hälfte aller Betriebe sind die Brandschutzunterlagen nicht aktuell.
Pläne, die auf eine Gebäudestruktur aus dem Jahr 2010 verweisen, obwohl längst umgebaut wurde.
Fluchtwege, die nicht mehr existieren.
Brandabschnitte, die baulich verändert wurden, ohne dass die Dokumentation nachgezogen wurde.

Das größte Problem:
Im Ernstfall verlassen sich Einsatzkräfte auf diese Unterlagen.
Jede falsche Information verzögert das Vorgehen und verschlechtert die Situation.

Und noch etwas wird oft übersehen:
Eine nicht aktualisierte Dokumentation ist ein formeller Mangel, der im Rahmen eines Genehmigungs- oder §82b-Verfahrens schwer wiegt.
Denn wer nicht weiß, wie sein Gebäude wirklich funktioniert, kann auch keine Verantwortung übernehmen.


2. Fehlende oder lückenhafte Wartung – funktionierende Technik ist kein Zufall

Bei Begehungen zeigt sich immer wieder:

  • Brandschutztüren verkeilt oder blockiert

  • RWA-Anlagen ohne Funktion

  • Sprinkleranlagen mit abgeschlossenen Absperrschiebern

  • Feuerlöscher ohne gültige Prüfung

  • Brandmelder, die dauerhaft Störung anzeigen

  • ……

Die Ursache ist fast immer dieselbe:
Es gibt keine klare Zuständigkeit im Betrieb.

Viele Unternehmen verlassen sich darauf, dass externe Fachfirmen alles im Griff haben. Doch die Realität zeigt: Ohne interne Kontrolle bleiben Wartungsfehler oft jahrelang unentdeckt. Und wenn es brennt, interessiert niemanden, wer verantwortlich gewesen wäre.
Der Betreiber haftet – immer.


3. Brandschutz als Projekt statt als Prozess

Ein häufiges Muster im betrieblichen Alltag:
Nach der Genehmigung, nach einem Umbau oder nach einer Kontrolle wird Brandschutz abgehakt.
Er gilt als erledigt.
Man glaubt, alles sei geklärt.

Doch Brandschutz ist kein Bauprojekt, das ein Enddatum hat.
Es ist ein System, das sich ständig verändert – gemeinsam mit dem Betrieb.

Neue Maschinen?
Neue Nutzung?
Umbauten?
Veränderte Personalstruktur?

Jede dieser Änderungen kann sicherheitsrelevante Auswirkungen haben – und viele davon bleiben unbewertet, weil niemand den Prozess dahinter lebt.


4. Die berühmte Brandschutztür – das häufigste Alltagsproblem

Keine Stelle zeigt das Thema so deutlich wie Brandschutztüren.
Sie sollen schließen, im Ernstfall den Brandabschnitt schützen und damit Leben retten.

Doch in der Praxis sieht man:

  • Türen fixiert mit Holzkeilen

  • Haltemagnete ohne Freigabeschalter

  • Bewegungsmelder falsch eingestellt

  • Türschließer defekt

Diese Fehler entstehen nicht aus Böswilligkeit – sie entstehen aus Bequemlichkeit.
Einmal kurz fixiert, dann vergessen.
Und genauso entstehen Gefahren.


5. Fehlendes Zusammenspiel von Technik und Organisation

Brandmeldeanlagen, Sprinkleranlagen, RWA-Systeme – all diese technischen Einrichtungen sind wertlos, wenn die organisatorischen Abläufe nicht passen.

Typische Inspektionsbefunde:

  • Wartungen sind durchgeführt, aber nicht dokumentiert

  • Verantwortlichkeiten sind unklar

  • Meldungen werden quittiert, aber nicht abgearbeitet

  • Alarme werden ignoriert, weil „das System ständig spinnt“

  • Betriebsprozesse sind nicht an die Technik angepasst

Die Folge:
Im Ernstfall reagiert zwar die Technik – aber niemand im Betrieb.


6. Fehlende Einbindung des Personals

Brandschutz steht und fällt mit Menschen.
Doch häufig wissen Mitarbeiter weder:

  • wie Brandmeldeanlagen funktionieren,

  • welche Türen Brandabschnitte schützen,

  • wie Löschgeräte zu bedienen sind,

  • wo ihr Sammelplatz ist,

  • wie im Ernstfall Kommunikationen ablaufen.

Viele Betriebe investieren in Technik – aber nicht in Verständnis.
Doch Technik ohne Menschen ist kein Schutzsystem, sondern ein Risikofaktor.


7. Routinen, die Sicherheit zerstören

Routine ist einer der gefährlichsten Feinde des Brandschutzes.
Was man täglich sieht, nimmt man irgendwann nicht mehr wahr.

Inspektionen zeigen:

  • blinkende Störmeldungen, die ignoriert werden

  • Gerümpel in Fluchtwegen

  • Abstellmaterial in Brandabschnitten

  • Türen „nur kurz“ offen

  • Abweichungen, die zu Gewohnheiten werden

Routine entsteht still – und richtet gerade deshalb großen Schaden an.
Denn wenn man glaubt, alles sei normal, hört man auf hinzusehen.


8. Fehlende Eigenkontrollen nach §82b GewO

Die gesetzlich vorgeschriebene Eigenüberprüfung ist ein mächtiges Instrument.
Sie dient dazu, Fehler zu erkennen, bevor sie zu Haftungsfällen werden.

Doch in der Praxis wird sie oft:

  • verschoben,

  • oberflächlich durchgeführt,

  • ohne Sachverständige gemacht,

  • falsch dokumentiert oder

  • gar nicht durchgeführt.

Die Folge:
Mängel bleiben unentdeckt – und das Haftungsrisiko steigt.


9. Kommunikationsfehler zwischen Betreiber und Behörde

Viele Unternehmer haben Angst vor der Behörde.
Doch diese Angst ist unbegründet – und schädlich.

Denn frühzeitige Kommunikation:

  • verhindert Probleme,

  • klärt Fragen,

  • beschleunigt Verfahren

  • und schafft Verlässlichkeit.

In der Praxis entstehen Konflikte fast immer durch fehlende Information – nicht durch böse Absicht.


10. Die gefährlichste Annahme: „Bei uns passiert nichts.“

Dieser Satz findet sich in jedem Betrieb, der später ein Problem bekommt.

Er entsteht aus:

  • jahrelanger Routine

  • fehlenden Vorfällen

  • Überlastung

  • wirtschaftlichem Druck

  • einem falschen Sicherheitsgefühl

Doch Realität, Rechtsprechung und Einsatzstatistiken zeigen:
Unfälle passieren dort, wo man sie nicht erwartet.

Und sie passieren deshalb, weil man aufgehört hat, das Risiko ernst zu nehmen.


Fazit: Was Inspektionen wirklich zeigen

Brandschutzfehler sind kein Zeichen von fehlender Intelligenz oder fehlender Kompetenz.
Sie sind ein Zeichen dafür, dass Betriebe leben.
Dass Strukturen sich verändern.
Dass Menschen Gewohnheiten entwickeln.
Dass Sicherheit ein Prozess ist, kein Zustand.

Doch genau deshalb braucht es:

  • klare Verantwortlichkeiten,

  • aktuelle Dokumentation,

  • gelebte Organisation,

  • regelmäßige Kontrollen,

  • eine wache Unternehmenskultur.

Brandschutz ist nicht sichtbar.
Brandschutz zeigt sich nur, wenn er funktioniert.

Und das ist die Aufgabe jedes Betreibers – jeden Tag.

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