Weihnachtsbäume brennen und der Brandschutz ?

Wenn ein Symbol der Ruhe zur kritischen Brandlast wird
Weihnachtsbäume stehen für Beständigkeit, Tradition und Sicherheit. Sie markieren einen Zeitraum des Innehaltens – privat wie betrieblich. Gerade deshalb werden sie in ihrer brandschutztechnischen Bedeutung häufig unterschätzt. Nicht aus Nachlässigkeit, sondern weil sie emotional nicht als Risiko wahrgenommen werden.
Aus ingenieurmäßiger Sicht ist diese Wahrnehmung trügerisch. Wissenschaftliche Brandversuche zeigen, dass ein Weihnachtsbaum – abhängig von Zustand und Umgebung – zu den dynamischsten Brandobjekten im Innenraum zählen kann.
Dieser Beitrag ordnet das Thema sachlich ein. Ohne Alarmismus. Ohne Vereinfachung. Auf Basis belastbarer Daten.
Brandlast ist nicht gleich Brandverlauf
Im Brandschutz wird häufig von Brandlast gesprochen. Gemeint ist die im Material gespeicherte Energie, ausgedrückt in Megajoule (MJ). Für die tatsächliche Gefährdung ist jedoch eine andere Größe entscheidend: die Wärmefreisetzungsrate (Heat Release Rate – HRR), gemessen in Megawatt (MW).
Sie beschreibt nicht, wie viel Energie vorhanden ist, sondern wie schnell sie freigesetzt wird.
Genau hier liegt die Besonderheit von Weihnachtsbäumen.
Die wissenschaftliche Realität: Sekunden statt Minuten
Brandversuche des National Institute of Standards and Technology (NIST) zeigen eindeutig:
Ein trockener Naturweihnachtsbaum mit einem Nadel-Feuchtigkeitsgehalt unter 20 % erreicht innerhalb von 30 bis 50 Sekunden eine Peak-HRR von bis zu 7 MW.
Zum Vergleich:
Für einen Raum-Flashover werden – abhängig von Geometrie und Ausstattung – häufig bereits 1 bis 2 MW als kritische Schwelle angesetzt.
Das bedeutet:
Ein einzelner, ausgetrockneter Baum kann in einem üblichen Raum allein die Bedingungen für einen Vollbrand schaffen – bevor Menschen reagieren, geschweige denn eingreifen können.
Diese Erkenntnis ist experimentell belegt und kein theoretisches Worst-Case-Szenario.
Der entscheidende Faktor: Feuchtigkeit
Nicht der Baum an sich ist das Risiko, sondern sein Feuchtigkeitszustand.
Solange ausreichend Wasser in den Nadeln vorhanden ist, wird zugeführte Energie zunächst für den Phasenübergang (Verdampfung) verbraucht. Die für die Pyrolyse notwendigen Temperaturen werden nicht erreicht. In Brandversuchen ließ sich ein gut gewässerter Baum oft nicht einmal nachhaltig entzünden.
Kritisch wird es, wenn der Feuchtigkeitsgehalt sinkt:
Unter 50 % Nadel-Feuchte beginnt der Übergang zu gefährlichem Brandverhalten
Unter 20 % verhält sich der Baum wie hochreaktives Reisig
In beheizten Innenräumen kann dieser Zustand bereits nach 7 bis 14 Tagen erreicht sein – selbst ohne sichtbare Veränderung des Erscheinungsbildes.
Naturbaum oder Kunstbaum – eine falsche Vereinfachung
Auch künstliche Weihnachtsbäume sind aus brandschutztechnischer Sicht nicht unproblematisch. Ihr Brandverhalten ist jedoch grundlegend anders:
Deutlich geringere HRR (meist < 1 MW)
Längere Vorwarnzeit
Kein explosionsartiger Brandverlauf
Demgegenüber stehen andere Risiken:
Hohe Rauchtoxizität, insbesondere bei PVC-haltigen Materialien (Freisetzung von Chlorwasserstoff)
Brennendes Abtropfen, das Sekundärbrände auslösen kann
Die oft gestellte Frage „Natur oder Kunst?“ greift daher zu kurz. Entscheidend ist nicht das Material, sondern die Einstufung nach dem Brandverhalten und die rechtliche Zulässigkeit im jeweiligen Anwendungsbereich.
Feuerpolizeiliche Vorgaben: rechtlich klar geregelt
In feuerpolizeilichen Vorschriften ist für zahlreiche Bereiche – insbesondere für öffentliche Gebäude, Veranstaltungsstätten, Verkaufsräume und Betriebe mit Publikumsverkehr – eindeutig festgelegt, dass nur schwer brennbare Stoffe verwendet werden dürfen.
Diese Anforderung ist brandschutztechnisch eindeutig begründet:
Materialien müssen im Brandfall ein verzögertes Brandwachstum, eine begrenzte Wärmefreisetzung und eine reduzierte Brandausbreitung aufweisen.
Aus dieser Vorgabe ergibt sich eine klare Konsequenz:
Trockene Naturweihnachtsbäume erfüllen diese Anforderung nicht
Herkömmliche künstliche Weihnachtsbäume ohne entsprechende Klassifizierung ebenfalls nicht
Unabhängig davon, ob ein Baum frisch wirkt oder dekorativ ansprechend ist, sind trockene Naturbäume und nicht klassifizierte Kunstbäume in diesen Bereichen unzulässig, da sie nicht als „schwer brennbar“ einzustufen sind.
Zulässig sind ausschließlich:
entsprechend klassifizierte, schwer entflammbare künstliche Bäume
oder alternativ dekorative Lösungen, die den feuerpolizeilichen Anforderungen eindeutig entsprechen
Hier handelt es sich nicht um eine Ermessensfrage, sondern um eine rechtliche Rahmenbedingung, die im Zuge von Behördenverfahren, Begehungen oder Haftungsfragen maßgeblich ist.
Öffentliche Bereiche: von der Dekoration zur Organisationspflicht
Gerade in öffentlich zugänglichen Bereichen verschärft sich die Bewertung zusätzlich.
Hohe Personenfrequenzen, begrenzte Selbstrettungszeiten und die Unmöglichkeit, den Zustand eines Naturbaums über Wochen zuverlässig zu kontrollieren, machen deutlich:
Die Verwendung eines Weihnachtsbaums ist hier keine gestalterische Entscheidung, sondern Teil der organisatorischen Brandschutzverantwortung.
Die Kombination aus:
schneller Branddynamik,
feuerpolizeilichen Materialvorgaben,
und begrenzten Reaktionszeiten
führt zwangsläufig zu einer restriktiven Bewertung aus brandschutztechnischer Sicht.
Technik allein reicht nicht
Ein weiterer, häufig unterschätzter Aspekt:
Bei der extrem schnellen Brandentwicklung trockener Weihnachtsbäume reagieren technische Systeme oft zu spät. Brandmelder sprechen erst an, wenn der Raum bereits thermisch hoch belastet ist. Eine wirksame Intervention durch anwesende Personen ist dann faktisch ausgeschlossen.
Das unterstreicht eine zentrale brandschutztechnische Erkenntnis:
Nicht jede Gefahr lässt sich technisch kompensieren. In manchen Fällen ist die Materialwahl selbst die wirksamste Präventionsmaßnahme.
